Darstellung - lebende Geschichte in der frühen Stauferzeit
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Reisende vor 850 Jahren

Als "Die Vrîharte" stellen wir das Leben einer Gruppe von Reisenden vor 850 Jahren dar.

Die Gruppe besteht aus Dortmunder Bürgern, die alle mit eigenen Zielen ihre Reise antreten; für den gemeinsamen Weg schließen sie sich zum gegenseitigen Schutz und zur Unterhaltung zusammen.
Godelîn, der Sohn eines Dortmunder Fernhandelskaufmanns, ist mit zwei Wagen unterwegs, um für seinen Vater einen Geschäftsabschluß durchzuführen. Seine Frau Adala begleitet ihn auf der Reise. Der zweite Wagen wird gelenkt von Reinburg, einem Dortmunder Wagenlenker, der schon lange für Godelîns Vater arbeitet und bereits einige Reisen mit Godelîn erlebt hat. Ansgar, ein Wanderarzt, stammt ursprünglich aus Salerno und hat nur vorübergehend in Dortmunde gelebt. Er ist mit seiner Frau Isabella unterwegs, um auch an anderen Orten die Kranken zur Ader zu lassen, zu schröpfen und mit Verbänden, Umschlägen und Aufgüssen zu versorgen. Er bezahlt Godelîn dafür, dass sein Gepäck, sein Zelt und seine medizinische Ausrüstung auf den Wagen transportiert werden. Den Dortmunder Kuno verbindet ebenfalls der gemeinsame Weg mit den übrigen Reisenden, allerdings weiß niemand genau, wo sein Ziel liegt.


Alltag im Mittelalter

Unser Ziel ist das Herunterbrechen der Geschichte auf das Handeln und Erleben des Individuums.
Der Alltag des Mittelalters ist der Teil der Geschichte, der auf uns die größte Faszination ausübt – und von dem am wenigsten in Geschichtsbüchern zu lesen ist.
Glücklicherweise wird unser Interesse von immer mehr Menschen geteilt, und der Erforschung des mittelalterlichen Alltagslebens dient ein immer größer werdender Wissenschaftszweig.
Beim Nachleben des Mittelalters interessieren uns vor allem die kleinen Dinge des Alltags:

  • Welche Kleidung trägt der Mensch des Mittelalters?
  • Woraus trinkt er?
  • Womit isst er?
  • Was isst und trinkt er?
  • Welche Materialien stehen ihm zur Verfügung, welche Werkzeuge benutzt er?

Diese Fragen sind - mehr oder weniger befriedigend - aus den Kenntnissen der Historiker und Archäologen zu beantworten. Das Nachleben und Erleben des Mittelalters eröffnet uns jedoch noch eine ganz neue Perspektive:

  • Wie fühlt es sich an, mittelalterliche Kleidung zu tragen?
  • Ist die Kleidung bequem, praktisch, auf die Erfordernisse des Alltags abgestimmt?
  • Wie schwierig und aufwändig ist es, diese Kleidung herzustellen?
  • Wie lässt es sich unter mittelalterlichen Bedingungen kochen?
  • Wie schmeckt das Essen des mittelalterlichen Menschen?

Über den Alltag des Mittelalters nicht nur zu lesen, sondern ihn aktiv und mit allen Sinnen zu erleben ist unser Anliegen. Dieses Nachleben des Mittelalters wirft immer wieder neue Fragen auf, die oft an die Grenzen des eigenen Wissens und manchmal leider auch an die Grenzen des wissenschaftlichen Kenntnisstands führen. So sind wir ständig bemüht, uns neue mittelalterliche Probleme und Fragen zu stellen und zu ihrer Lösung den Stand unserer Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern – und dort, wo uns auch die Wissenschaft keine Antworten geben kann, nach bestem Wissen unsere eigenen mittelalterlichen Lösungen für die Probleme des Alltags zu finden.


Leben auf der Reise

Wie für wohl alle Gruppen stellte sich auch für uns das Problem, die Darstellung von Lebensalltag im Zeltlager historisch zu rechtfertigen; schließlich wohnten Menschen im Mittelalter in Häusern und nicht in Zelten. Da uns ein mittelalterliches Haus aber leider (noch?) nicht zur Verfügung steht, galt es einen Kompromiß zwischen historischer Realität und moderner Machbarkeit zu finden.
Schließlich entschieden wir uns für das Konzept einer Reisegruppe. Da die Reisenden unterschiedliche Ziele haben und nur der gemeinsame Ausgangspunkt und der Weg sie verbinden, lassen sich unterschiedliche Figuren in diesem Konzept unterbringen.
Da zur Reisegruppe ein Kaufmann mit (virtuellen) Wagen gehört, lässt sich auch der Transport von Zelten erklären.


Anspruch

Wir bemühen uns, in jedem Detail unserer Ausrüstung einen möglichst hohen Grad an mittelalterlicher Authentizität zu erreichen, denn nur ein realistisches Nachempfinden mittelalterlicher Gegebenheiten ermöglicht ein realistisches Erleben des Mittelalters.
Ob vollkommene Authentizität jemals von irgendwem erreicht werden kann, mag - schon allein aufgrund der lückenhaften Kenntnisse - dahingestellt bleiben, dennoch gilt sie uns als verpflichtendes Ziel, und wir sind jederzeit bereit, uns zu verbessern und zu korrigieren (leider kommt es ab und zu vor, dass man erst ein Jahr später merkt, was man vor einem Jahr noch alles falsch gemacht hat - und sich dann für die alten Fotos schämt :-)).

Einige Ausnahmen räumen wir bewußt ein:

  • Gesundheitliche Gründe: Medikamente, Brillen und alles, was nötig ist, um sich vor der authentischen Lungenentzündung zu schützen, sind von mittelalterlichen Ansprüchen ausgenommen.
  • Hygiene: Wir freuen uns, auch im Mittelalter (mehr oder weniger) moderne sanitäre Anlagen und Hygieneartikel zu benutzen. Selbst Papiertaschentücher sind gestattet, um auf-den-Boden-, ins-Tischtuch- oder in-den-Ärmel-Schnoddern zu unterbinden.
  • Finanzielle Gründe: Sollten eigentlich keinen Einfluss haben, sind aber leider die Ursache dafür, dass unsere Zelte und unser Dach aus Baumwolle statt Leinen sind und dass wir in modernen Schlafsäcken statt in einem Berg aus Schaffellen nächtigen.
  • Modernes Aussehen: da wir die meiste Zeit unseres Lebens in der Moderne verbringen, sind Frisur und Bart ebenfalls von mittelalterlichen Ansprüchen ausgenommen, es wird auch niemand gezwungen, Piercings zu entfernen.

    Geschichte der Gruppe

    Die Vrîharte gründeten sich 1995 und waren 1996 das erste Mal mit eigenem Lager auf mittelalterlichen Veranstaltungen vertreten.
    Innerhalb des neunjährigen Bestehens gab es einige Änderungen in der Besetzung, zur Zeit besteht die Gruppe aus sieben Personen, von denen zwei Gründungsmitglieder sind.
    Die ersten Jahre galt als dargestellter Zeitraum jeweils "vor 1000 Jahren", also um das Jahr 1000. Im Jahr 2001 haben wir uns dann "re-datiert" und schrieben seither das Jahr 1152. Im Winter 2002 fanden wir wiederum eine neue Lösung: dargestellt wird das Leben vor 850 Jahren, im Jahr 2006 also das Jahr 1156.


  • Warum "Vrîharte"?

      "vrî-hart stm. berufs- u. herrenloser landstreicher, der sich für sold anwerben lässt, vagabund, gaukler, spielmann
      vrî-heit stf. landstreicherin"
      (Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer)

    Bei Gründung der Gruppe 1995 entschieden wir uns für das Konzept der Tagelöhner. Es rechtfertigt die Darstellung ständiger Reise und deckte sich damals mit unserer Situation, nur soviel Gepäck dabeizuhaben, wie wir tragen konnten.

    Die Entwicklung der Gruppe brachte es aber mit sich, dass die Ausrüstung immer umfangreicher wurde, das Lager immer größer und schließlich mit dem Zug nicht mehr zu transportieren.

    Statt zum Ausgangspunkt zurückzukehren und einen Großteil unserer mühsam hergestellten oder teuer erworbenen Ausrüstung wieder abzuschaffen, änderten wir im Winter 2002 unser Konzept, einhergehend mit dem Bau neuer, herrschaftlicherer Zelte. Seitdem stellen wir wohlhabenderes Bürgertum auf der Reise dar. Der alte, etablierte Name ist geblieben, auch wenn die Bedeutung heute nicht mehr wirklich passt.